1.2. Der internationale Ochsenhandel

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Die vorhandenen historischen Quellen (Handels- und Zollbücher, Mautrechnungen, Metzgerakten u.a.) bezeugen den fast ununterbrochenen Ochsenhandel in Europa zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert. Schon zu Anfang des 13. Jahrhunderts gibt es vereinzelte Belege, die die Ausfuhr von ungarischen Ochsen belegen.

Ein weiterer Beleg für den Ochsenhandel im deutschsprachigen Raum stammt aus dem Jahre 1305. Das Handlungsbuch des Nürnberger Fernhändlers Holzschuher enthält einen Eintrag über den Handel mit ungarischen Ochsenhäuten. Gute 50 Jahre später, 1358 hatte ein Nürnberger Patrizier namens Bertold Holzschuher drei Ochsenhändlern 800 Gulden geliehen. Diese stellten als Sicherheit in Ungarn gekaufte Ochsen, die für die Stadt Mainz bestimmt waren.

Zunächst diente der Ochseneinfuhr sicher nur zur Ergänzung des regionalen Angebots. Doch gegen Ende des 15. Jahrhunderts stieg der Fleischbedarf der süddeutschen Städte so rasant an, dass die regionale Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, vor allem mit Fleisch, nicht mehr ausreichte. Das brachte den transkontinentalen Ochsenhandel erst richtig ins Rollen. Im 16. Jahrhundert florierte das Geschäft und erreichte seinen Höhepunkt, indem der Fleischbedarf der süddeutschen Städte größtenteils von ungarischen Ochsen gedeckt wurde. Allein auf dem Wiener Ochsengries wurden zwischen 1548 und 1558 mehr als eine halbe Million (550.000) Ochsen verkauft, die meisten vermutlich an süddeutsche Viehhändler oder Metzger. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren die „Ungarochsen“ so dominant auf dem Markt, dass aus Nürnberg der Satz überliefert ist, wonach „von Ungarn ganz Deutschland mit Fleisch gespeist wird“. In der Blütezeit des Ochsenhandels tauschten jährlich 100.000 bis 200.000 ungarische Tiere ihre Eigentümer auf den europäischen Märkten.

Die Türkenkriege und die italienische Konkurrenz

Selbst die Türkenkriege konnten den Handel nicht stoppen: Zwar gab es zeitweise Engpässe bei der Versorgung oder aber die Handelsrouten mussten von Zeit zu Zeit verlegt werden, um den kriegerischen Handlungen und Gefahren aus dem Weg zu gehen. Aber der Handel lief weiter. 1526 bei der Schlacht von Mohács  wurde ein großer Teil Ungarns von den Türken unter Sultan Süleyman dem Prächtigen erobert. Ab diesem Zeitpunkt war das Land 150 Jahre lang dreigeteilt: in das Habsburgische Königreich, eine Provinz Ungarn des Osmanischen Reiches und das Fürstentum Siebenbürgen als Vasallenstaat der Osmanen.
Während des Krieges zwischen den Habsburgern und dem Osmanischen Reich von 1593 - 1606 erhöhte Kaiser Rudolf II. die Zollsätze, was zum rapiden Rückgang der Ochsentriebe führte. Wann immer die Einfuhr der ungarischen Ochsen aus politischen oder anderen Gründen ins Stocken geriet, griffen die Metzger vermehrt auf polnische oder dänische Ochsen aus dem Norden oder auf Waldochsen aus dem Bayerischen Wald zu.

Hier ist ein Schlachthof in Budapest abgebildet.

Engpässe gab es auch durch die italienische Konkurrenz, wie zum Beispiel Ende des 16. Jahrhunderts, als venezianische Viehhändler einen Großteil der ungarischen Ochsen bereits an der ungarischen Grenze aufgekauft hatten, so dass nur eine geringe Anzahl  von Graurindern auf dem Wiener Ochsengries angeboten werden konnte. Die finanzkräftigen Venezianer schnappten so einige Male den süddeutschen Händlern die gute Ware vor der Nase weg. Kaiser Rudolf II. verbot daraufhin im Jahre 1597 den Händlern aus Venedig, direkt in Ungarn einzukaufen und hoffte, dass der Viehhandel damit wieder vermehrt auf dem Wiener Ochsengries abgewickelt werden würde. Doch das störte die Venezianer herzlich wenig, sie verlegten ihre Handelswege kurzerhand in Richtung Kroatien und umgingen damit einfach die Bestimmungen und Zölle der Habsburger.

Der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) bewirkte zwar einen drastischen Rückgang des Handels, bedeutete jedoch noch nicht das Ende der Ochsenexporte. Eine einschneidende Zäsur brachten die Jahre von 1670 bis 1720. Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Habsburgern und dem Osmanischen Reich zerstörten nach und nach die gesamte Infrastruktur, die dem Handel zugrunde lag. Ungarische Ausfuhrzölle machten außerdem im 18. Jahrhundert den Ochsentrieb unrentabel. Zwar gab es noch Ochsentransporte und -handel bis ins 19. Jahrhundert, doch die Mengen und die Bedeutung, die das Ochsengeschäft im 16. Jahrhundert besaß, wurden nie wieder erreicht.
Der transkontinentale Ochsenhandel bescherte drei- bis vierhundert Jahre lang verschiedenen Bevölkerungsgruppen ein gutes Einkommen, trug in zahlreichen europäischen Städten zur Lebensmittelversorgung der Menschen bei und hinterließ seine Spuren in vielen anderen Bereichen wie in der Sprache und der Kultur.

Die Triebzeiten konzentrierten sich auf die wärmeren Monate im späten Frühjahr, Sommer und Herbst: Die Saison für den Ochsentrieb begann im Mai und dauerte in der Regel bis Oktober. Spitzenmonat war laut verschiedener Mautrechnungen der Monat Juli. Die meisten Ochsen erreichten die süddeutschen Städte in den Monaten September und Oktober.

Preisdumping und 30-Kilometer-Etappen

Der Weg vom Aufzuchtgebiet bis zum Bestimmungsort war sehr lang und betrug meistens um die 1.000 Kilometer, in manchen Fällen sogar mehr. Damit die Rinder unterwegs nicht zu viel an Gewicht verloren, wurden auch Weideflächen als Rast- und Mastplätze eingeplant, meistens in der Nähe der Fleischmärkte. Die tägliche Marschroute lag bei 20 bis 30 Kilometer pro Tag. Eine stolze Leistung! Somit waren die meisten Herden mindestens vier bis sechs Wochen, manchmal sogar einige Monate unterwegs zu den Verbrauchern.

Über die Größe der Herden gibt es sehr unterschiedliche Angaben, meistens in den Mautrechnungen und Zollbüchern. Mal waren es nur 30 bis 50, mal aber auch riesige Herden mit bis zu 1.000 Ochsen. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Ochsentreiber in den meisten Fällen mit durchschnittlich 100 bis 200 Tieren den langen Weg antraten. An manchen Engstellen, wie bei Stadttoren, Brücken, Furten oder eng bebauten Feldern kamen sie nur mit kleineren Herden durch. Jede Herde wurde von einem „Ochsenkapitän“ und weiteren Ochsentreibern begleitet. Die Treiber wurden teilweise unterwegs gewechselt, oft übernahmen einheimische, ortskundige die Führung für bestimmte Strecken.
Manchmal, wenn auch nur selten, mussten Tiere unterwegs wegen Schwäche oder Krankheit verkauft oder notgeschlachtet werden, die meisten Rinder erreichten trotz des strapaziösen und langen Wegs ihren Bestimmungsort ohne größere Schäden.

Fleischhaus zu Nürnberg: "Ungarn giebt uns wilde Stier desen sich die Metzger freuen.." Radierung um 1700.
Fleischhaus zu Nürnberg: "Ungarn giebt uns wilde Stier desen sich die Metzger freuen.." Radierung um 1700.

Die Ochsenpreise variierten stark, sowohl im zeitlichen Verlauf, als auch geografisch gesehen. So stieg der Wert der importierten Tiere zum Beispiel von Ost nach West deutlich an. In Wien betrug der Marktpreis für ein Paar Ochsen leicht das zwei- bis dreifache vom ursprünglichen Preis der Züchter in Ostungarn. In Augsburg konnte der Ochsenhändler den Preis jedoch noch weiter steigern, da er die Transportkosten (Futter, Löhne für Treiber usw.) und seinen eigenen Gewinn noch mit dazu rechnen musste. Konkrete Beispiele liegen unter anderem aus dem Jahre 1580/90 vor: Erstpreise in Ungarn lagen in dieser Zeit bei zehn Gulden, beim Wiener Importtor betrug der Preis in der gleichen Zeit rund zwölf bis 17 Gulden, in Nürnberg stieg ersogar auf bis zu 18  bis 22 Gulden.
Auch im Laufe der Zeit stiegen die Preise der „Ungarochsen“ stetig nach oben: Ein Vergleich zwischen den Jahren 1529 und 1560 zeigt eine Steigerung der Preise von rund 50 bis 60 Prozent.  Die Verteuerung des Ochsenfleisches hat einerseits mit dem Anstieg der Triebkosten wie Löhne, Futterpreise oder auch Mautgebühren zu tun, andererseits spielten Angebot und Nachfrage auf den Märkten immer eine entscheidende Rolle. Somit waren die Preise stets größeren Schwankungen ausgesetzt.  

Im Laufe der Zeit entwickelte sich überdies ein differenziertes Angebot: Es gab verschiedene Qualitätsstufen auf dem Markt, die demnach auch sehr unterschiedliche Preise bei den Metzgern bzw. den Verbrauchern erzielen konnten.

Bei den Großhändlern gab es natürlich auch Rabatte, diese „Ermäßigungen“ von drei bis vier Prozent beim Einkauf von größeren Herden wurden meistens in Form von Dreingaben gegeben, das heißt, der Käufer erhielt noch einige Tiere gratis dazu. Im östlichen Teil Ungarns gaben die Viehhändler den Einkäufern von Exportochsen auch einige Jungochsen als Geschenk dazu.

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